Sonntag, 6. Oktober 2013

1.39.2 James Blake - Overgrown

7.3/10.0

30 Sekunden in Overgrown, dem Album, sind zugleich 30 Sekunden im gleichnamigen Titeltrack, der das Songensemble des zweiten Longplayers mit fast fremdartiger Betonung der Lyrics anführt.
And I want you to know / I took it with me / And when things are thrown away like the are daily mündet in einen minimal hörbaren Gap, nahe einem akustischen Cliffhanger, der jedoch einen Reim darauf empfängt, bevor ein solcher Bedarf überhaupt ausgesprochen wurde: Time passes and the constants stay.
Es sind nur die ersten Sekunden des Songs, und somit des Albums, doch Mr. Blake öffnet mit seiner gehauchten, geschmeidigen Handschrift die Tür für Emotionsmonster, Sorgendämonen und Ohrwürmer und man kann nichts anderes unternehmen, als paralysiert dabei zuzuhören und zu staunen, wie diese orchestral ihre Plätze einnehmen, Melancholie die Überhand gewinnt und binnen 5 Minuten eine alles andere als alltägliche Bühne aufgebaut wird, mit den Gedankenblasen des 25-jährigen im zentralen Scheinwerferlicht.

Wie schon am weltweit bejubelten Vorgänger sprechen Stille und minimalistische elektronische Effekte ganze Bände in Blakes Kompositionen. Die geheulten Worte spulen sich oftmals undeutlich im Vordergrund herunter, wandern dann freiwillig ab und mauern die kommenden Höhepunkte der Songs gesanglich ein, sodass ein stabiles Fenster in den tragenden Sound entsteht.
Life Round Here und Take A Fall For Me, wenn auch mit - für Blakes Verhältnisse - beachtlicher Dynamik ausgestattet, wabern schmerzhafterweise gerademal als zeitvertreibende Übergänge im klanglichen Irragarten um ihr Leben, wenn die darauf folgende Singleauskopplung seine Zeit kommen sieht. Der liebevoll geloopte Chorus der anderen Songs - davor und danach - greift nämlich erst nach mehreren Anläufen, da Retrograde viel zu hell erstrahlt und sich selbstbewusst inhaltlich wie musikalisch zu den befriedigensten Werken des Londoners rechnet.

Was folgt, sind beruhigend soullastige Pianoballaden (DLM), erschreckend punktuelle Dubstepnachwehen (Digital Lion) und launische Experimente (Voyeur), die mit dem gefährlichen Schwert der Reizüberflutung spielen und diesem schwierigen Album die Rolle eines Motors zusprechen, das im Ganzen unter keinen Umständen im Stillstand gehört werden darf.
Reiht sich Overgrown also deswegen unter die zahllosen Beispielalben der introvertierten Laufmusik?
Bloß bedingt, denn gegen Ende und fast unterm Strich ist es wieder Herbsttag-, bzw. Hintergrundsound. Ihm fehlt die gezielte Irritation des Vorgängers, hauptsächlich die freche Verwendung von Breakbeats. Rap mag im Gesamtbild nicht deplatziert wirken, James Blakes Interesse an der entstandenen Symbiose patzt jedoch etwas uneingeladen in den ruhigen Abend. Die Wahl der Prediger versöhnt einen dafür mit dem entstandenen Umstand immerhin zügig, RZAs bodenständiger Style hielt den Experiment-orientierten Augen von Kanye West, einem Zeitgenossen des Künstlers zur Zeit der Produktion, wacker stand.

Ein inspirierendes Follow-up, ein gelungenes, beruhigendes Album ist ihm da gelungen. Zweifellos ist Blakes Gesang für alle, die nicht sofort damit können, gewöhnungsbedürftig. Aber bei all den winselnden Popplärrern, die man sich unfreiwillig täglich geben muss, stechen die stets mit Bedacht und Nachdruck aufgenommenen Vocals spürbar heilsam hervor. Auf den Rest macht man sich bequem zeitnah einen Reim, denn Bedarf hat man nach einzelnen Kostproben sowieso.

StrawHat
(wants you to know)
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TRACKLIST & HIGHLIGHTS:

01 Overgrown
02 I Am Sold
03 Life Round Here
04 Take A Fall For Me
05 Retrograde
06 DLM
07 Digital Lion
08 Voyeur
09 To The East
10  Our Love Comes Back