Montag, 12. März 2012

1.28.1 Deichkind - Bitte ziehen Sie durch


Dem Durchbruch des äußerst lyrischen deutschen massentauglichen Hip-Hop hinkte die Crew um das Hamburger Projekt Deichkind schon ein gutes Jahrzehnt hinterher. Vielleicht erklärt dies das mit der Zeit etwas verrutschte Genre der Frechdachse. Um die Jahrtausendwende aber versuchten sich die Freunde Phillipp, Malte, Buddy und Sebastian mit kollegialer Unterstützung im redewendigen Sprechgesang und feierten damit kleine wie große Erfolge, und zumindest Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Raum.

Die erste Scheibe der Truppe hört auf den Namen Bitte ziehen Sie durch, eine klare Anspielung auf die Rauschmittel-nahe Bandphilosophie, über die sie nie wirklich einen Hehl machten, nein, das Ganze eher immer stilvoll und unterhaltsam in ihre Texte einbauten. Auf der Debutscheibe, die 19 Tracks - darunter die fast unterhaltsamsten Skits aller mir bekannten deutschen Hip-Hop-Alben - beinhaltet, schenken sich textstarke Wortgefechte nichts und wechseln sich nur geringfügig ab. Im Grunde fühlt sich das ganze Ding an wie ein origineller Teig, den die zynischen Jungs zu einer schmackhaften Skulptur formten, der den nordischen Kollegen aus den 90ern - darunter natürlich Dendemann von Eins, Zwo oder etwa Fettes Brot - selbstverständlich verdammt ähnlich sieht.
Zugpferd und Aushängeschild war der mittlerweile zum Klassiker deutscher Musik der 2000er gewordene Hit Bon Voyage (feat. Nina), quasi ein Loblied auf die partytauglichen Flow der Formation und meiner Meinung nach, nach wie vor ihr bester Hip-Hop-Track.

Die anderen einzelnen Tracks auf der Platte aufzusuchen und auf Tauglichkeit zu prüfen ist aber leider definitiv der falsche Weg um sich sowohl in die Band, als auch in das Album hineinzuhören. Ähnlich wie bei Fettes Brots Außen Top Hits, Innen Geschmack ist das gesamte äußerst sarkastische und alltagskritische Album mit genial verdrehten Wörtern und Zeilen durchzogen - eine ganze Session mit der Scheibe ist also anzuraten. So baut Deichkinds geistreicher Humor nicht nur auf sich selbst auf, sondern die für sich allein regelrecht mittelmäßigen Tracks tranformieren sich in ihr eigenes Best Of - Höhepunkte schaffen es in den Gehirnwindungen des Hörers hängen zu bleiben. Die sympathischen Stimmen der Herren tun dieser Tatsache zudem gut - es gibt weitaus unauffälligere Rapper als beispielsweise Phillipp Grütering alias Kryptic Joe.

Der klare Geheimtipp ist überraschenderweise der Bonustrack, der ca. 10 Minuten nach Vollendung der letzten Nummer Slangdaddy startet. In kleinen Geschichten erzählen die Rapper in Novellen-reifer Form u.a. über Begegnungen mit den skeptischen Eltern der ersten großen Liebe. Nicht nur ihren Humor, sondern auch schauspielerische Fähigkeiten stellen sie am hintersten Eck der Platte unter Beweis.
Wer nicht bis dahin warten bzw. vorspulen, vom frühen Deichkind aber doch sanften Wind schnuppern will, der probiert Tracks wie Evergreens aufgrund von Textvielfalt, Weit weg (feat. Bintia) wegen überraschend ernstem Ausdruck oder Flammenmeer (Teil 1) wegen der lieb gemeinten Band-internen Battles.

CDs wie diese muss man mit guter Laune und offenen Ohren besuchen - Deichkind hatte damals kein außerordentlich umwerfendes Album geschaffen, aber es ist doch ein gutes Stück besser, als man nach all den Jahren ohne Erwähnung meinen könnte. Gut genug um der Linie über Jahre treu zu bleiben und den Fokus nicht auf bunte Farben und elektronische Unterstreichung umzuleiten.

Wie wir morgen erfahren, ist dies trotzdem geschehen ...

StrawHat
(nickt mit dem Beat und bewegt seinen Arsch)
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TRACKLIST & HIGHLIGHTS:

01 Fachjargon
02 Da mussu plata!
03 Smogcity
04 Bon Voyage (feat. Nina)
05 Safari
06 Evergreens
07 Was' der Anlass
08 Lass es raus
09 Flammenmeer (Part 1)
10 Günther
11 T2WEI
12 Kabeljau Inferno (Don Dougie Remix)
13 Weit weg (feat. Bintia)
14 Feature
15 Schweiß und Tränen
16 Komm schon!
17 Imbissmief
18 Rauf und wieder runter
19 Slangdaddy
  
LINKS: 

BON VOYAGE (FEAT. NINA) MUSIKVIDEO: http://youtu.be/nTJrO9nLnFs

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