Freitag, 22. Oktober 2010

1.5.1 Linkin Park - A Thousand Suns


God, save us everyone

.. ist der erste Satz, den man zu hören bekommt, nachdem man auf PLAY gedrückt und die seltsamen, spacigen, Klänge vernommen hat, die darauf folgen. Es mag aus dem Kontext gegriffen klingen und Freunde wie Gegner des hierzulande im September 2010 erschienen Albums werden sich ihren Teil dabei denken - für mich symbolisiert er die flehende Bitte, die Challenge, die einem dieses Album auferlegt, bitte doch abzuwenden. Und für mich ist diese Challenge ein immernoch tosender Kampf zwischen AWESOME und GET RID OF IT.

Fakt ist, dass Linkin Park seit Meteora stark mit ihrem Image hadern. Ständig diese halbgaren LP Underground-Alben, die irgendwie ihren Weg in den Laden fanden, obwohl sie doch nur als Fan-only-Alben gefertigt wurden. Dann das Ding mit Jay-Z, 2 1/2 Jahre später das in eine komplett neue Richtung gehende Minutes to Midnight. Warum sich die bunte Gruppe schließlich so viel Zeit ließ wird auch nicht nach dem Lesen des Booklets nicht klar.

"We were not working on an Album", sagt Mike Shinoda da nämlich. Da bekomme ich große Zweifel, denn die Faninformation war über 3 stolze Jahre hinweg, dass sie sich dann und wann treffen und neu herumplanen, Nebenprojekte hin oder her. Und herausgekommen ist das.
Schlafwandel? Mischmasch? Konzeptalbum?
Alles und doch nichts. Aber eine Strawpinion in jedem Fall.

J. Robert Oppenheimer ist es, der einem in ,The Radiance´ seine Gefühle über das Mitansehen des ersten Atombombentests mitteilt. Und so ergreifend seine weise gewählten Worte auch sind, ein eigener Track hätte das nicht sein müssen. Das hätte prima in das erste Lied mit hineingepasst.
Und schon sind wir mitten in der Kritik angelangt: Platz. wurde. nicht. gespart.
Stattdessen sieht man auf die Rückseite des Albums, erkennt für ein LP-Album ausgesprochen viele Tracks und denkt sich: "Okay. Da hat jemand gearbeitet."
Obschon die Arbeit nach dem Durchhören klar ersichtlich sein mag - die vielen Lieder liegen nicht an der Vielfalt an Ideen der Gruppe, sondern einfach am Sinn für Theatralik der Band.

3 Minuten sind seit dem PLAY-Button vergangen und man bekommt erstmals was musikalisches vorgelegt, was nicht als Intro bezeichnet werden kann. Ein richtiges anfassbares ordentliches Lied von Linkin Park. Himmel, wie lang ist es her?
Und dann begann ich herumzugrübeln - unterstützt vom melancholischen Klang von ,Burning in the Skies´. Wie viel Zeit war seit Minutes to Midnight vergangen? Was habe ich seitdem an Musik gehört? Wie habe ich mich weiterentwickelt?
Mittlerweile wird man von Chester Benningtons leidgeprüfter Stimme sanft in den Schlaf gesungen.
Nein, das ist noch zu früh - die Euphorie lebt, der Zweifel pulsiert. Aber es ist angenehm. Sagen wir, Sie laden einen zum Abendessen ein. Man erlebt die Kunst der Gruppe erneut neu und erkennt, das man es mit Mainstream zu tun hat.

Mein Gefühl für Linkin Park kommt aus einer Zeit, in der es cool war die zu hören. Jeder Junge der ,Crawling´ und ,In the end´ nicht singen konnte, war nicht so toll wie die anderen. Linkin Park standen damals am Anfang, für mich am musikalischen Anfang.

Was man hier also hört, ist was ganz anderes als die Anfänge. Klar, fast 10 Jahre sind vergangen. Ist es jetzt schlecht? Man weiß es nicht. Gott, es ist einfach vollkommen anders. Und whoops - da ist es vorbei. Und Stille herrscht. Besser gesagt der vierte Track des Albums ,Empty Space´. Und mehr bekommt man auch nicht. Wow. Diesen Empty Space hätten sie auch in das vergangene Lied packen können. 
Seht ihr?

Und dann hat jemand seine Kinder ans Mischpult gelassen. Track 5 beginnt - ,When they come for me´. Viele Überraschte drehen verzweifelt an ihrem iPod, hämmern auf ihren MP3-Player ein um den Sound herabzusetzen. Natürliches Verhalten, aber der falsche Weg um an dieses Lied heranzugehen. Eigentlich sollte man es nach jeder Strophe lauter machen.
"Motherfucker" ist das Wort, das den Refrain einleitet. Mike Shinoda schonwieder ..
Dem Wort aus seinem Mund hängt ein leichtes cheezy nach. So empfinde ich das zumindest. Und was ist schlimmer als ein cheezy? Zwei cheezy.
Der Refrain ist für LP-Kenner und -Neulinge recht unspektakulär - mich wirft es zumindest nicht um. Hier wurde sogar ein guter Refrain vergeudet. Chesters Gejammere erinnerte mich an den recht unbekannten Song Carousel

Aber lassen wir das. Das Lied ist mittlerweile auch in Stille verklungen und wir erheben uns vom, als sinnliches Dinner geplanten, Food Fight und bekommen von der Band den wärmenden Mantel umgelegt. Ob man will oder nicht - es geht hinaus in die Kälte. ,Robot Boy´ folgt.
Seicht, absolut anhörbar. Fürchterlich.
Man hat 3 Jahre gewartet - wo ist der schmerzhafte Aufprall auf die Realität? Man hat sich ganz anderes vom neuen Album versprochen! Aber das stete ,YEAH!´ ,YEAH!´ während dieses Songs lenkt einen ab, man kann nichtmal anfangen sich zu beschweren.

Und dann kommt ,Jornada del Muerto´ - ein Titel der auf der Tracklist total aus der Reihe tanzt. Und man erwartet ... einfach ... alles andere als was man schließlich erhält. Denn das ist nicht mehr oder weniger als ein kleiner Remix vom Vorgänger ,Robot Boy´.
Nun, wenigstens ist es nicht sowas wie EMPTY SPACE 2 - MORE EMPTY SPACE - aber, verdammt, das hätte ebenso in den letzten Track reingepasst! Das würde ihn sogar noch besser machen!
Obwohl er nicht so klingen mag, steigert sich das hauptsächlich "instrumentale" (mehr durch Computer-Effekte generierte) Lied bis zu einem gewissen Punkt - bis Linkin Park sich abermals dafür entschied das Tempo vehement rauszunehmen und einen einfach durch das All driften zu lassen.

Wir sind bereits halb durch und das neue Album ist alles andere als überzeugend. Wie soll man sich denn da fokussieren können? Wie soll man sich mit dieser Musik durch den Alltag bringen? Wie für Prüfungen lernen? Oder U-Bahn-Fahrten überstehen, geschweige denn konzentriert mit dem Auto fahren?
Ihr hattet 3 Jahre Zeit, Leute! Gebt den Fans Futter!

Und dann fangen tausend Sonnen an zu strahlen. ,Waiting for the end´ beginnt und man bekommt was auf den Teller. Man bekommt das Echo aus früheren Jahren, vermischt mit neuen Effekten und Techniken der Gruppe.
Auf einer Seite klar - die Kälte ist vorbei. Sie haben einen nach Hause gebracht. Vielleicht gibt es jetzt noch Tee um den Tag ausklingen zu lassen und das massive Dinner zu verdauen?
Andererseits ist es nicht nur Kuschelkurs sondern bringt echtes lautes Gefühl mit sich. Chester beginnt mit der Catchphrase des Liedes und man denkt: ,Schön. Schön. Doch noch Potential.´
Dieses Gefühl explodiert im Höhepunkt des Liedes und dann ist es einfach vorbei. Wo ist euer Empty Space jetzt, Leute?
Nun, hoffentlich war es das wert. Die Hoffnung ist immerhin schlagartig zurück.

Und sie bleibt. Denn der stärkste Track der ganzen Scheibe betritt das Licht. Für mich ist ,Blackout´ definitiv einer der besten Songs der Gruppe überhaupt. Nicht nur die Lyrics überzeugen - die musikalische Umsetzung sitzt und heizt neuen wie alten Fans gehörig ein.
,.. take and take and never say - NOOOOOOO!´
Wow, mitreissend. Emotion, sogar ein kontrollierter Schrei des Lead-Vocalisten. Linkin Park ist wieder da! Hurra!
Und als 2 Minuten und 15 Sekunden vergehen, strahlen alte Erinnerungen durch die Zweifel und man hört ein sehr altes, noch sehr neues Linkin Park.
Denn so klang das früher meistens. So hat mich das Album [Reanimation] gehooked - mich um den Finger gewickelt.

Aber dann verderben sie einem Spaß. Sie nehmen einem den leckeren Tee, der sich irgendwann in fürchterlich starkem Kaffee verwandelt hat, aus der Hand und schicken einen ins Bett. Zähneputzen nicht vergessen!
,Aber ... wir hatten doch gerade so viel Spaß ...´.

Der Tag war verdammt anstrengend und der böse Traum, den ,Wretches and Kings´ hier für mich symbolisiert, kommt nicht von Ungefähr. Ein irrer Pool aus Eindrücken liegt hinter uns - und wir haben es noch nicht ganz geschafft. Gott, zu dem wir anfangs beteten, hat uns vergessen. Das Lied ist definitiv das schwächste laute dieses Albums.
Mario Savio predigt seine furchtsame Überzeugung sogar ein zweites Mal, bis sich Joe Hahn, der unsympathische DJ der Formation, einmischt.

Doch selbst der kann nichts unternehmen. Martin Luther King ergreift das Wort und man bekommt eine durch Effekte verzerrte Fassung einer seiner Reden ins Trommelfell gepresst.
Man bekommt tatsächlich ebenso viel Philosophie wie Musik mit diesem Album ins Haus. Hier wird das erneut klar.

Schließlich haben die Albträume endgültig ein Ende und die tausend Sonnen strahlen nurmehr schwach. Ist das Dr. Luther Kings Werk? Hat er uns die laute Euphorie gestohlen?
Linkin Park legt mit ,Iridescent´ nicht nur die dritte vermeindliche Single auf, sondern streichelt einen sanft in den Tiefschlaf. Man wird noch einmal geweckt werden, aber das weiß man hier noch nicht. Wer aber aufgepasst hat, wird damit rechnen, nicht einfach losgelassen zu werden.

Der Tiefschlaf führt uns durch ,Fallout´ - Echos eines bekannt wirkenden Liedes hallen durch das Innenohr. Wahnsinn, das muss Jahre her sein! ... oder nicht?
Tatsächlich ist es ,Burning in the Skies´, was man da hört. Und so schließt sich der Kreis und die Menge denkt ,Konzeptalbum´. Ist es das? Ist es das wirklich?
Und dann wird man wach, erhebt sich und bewegt sich wie von einem unsichtbaren Katalysator angetrieben. Man war doch müde? Das aufregende Essen und die Kälte? Die tausend Sonnen und der Albtraum? Alles kraftraubend - und trotzdem ist der kraftgebende Schlaf nun vorbei. 
Die erste Single des Albums, der Reaktivator der Linkin Park-Fangemeinde, kracht einem mit Konzert-tauglichem Text durchs Gehirn. Es fühlt sich fremdartig an und dann schwacht es ab. Shinoda sitzt wieder am Klavier.
Und sie dachten sich: ,Ein episches Ende muss jetzt her.´
,The Catalyst´ hört und hört nicht auf. Der Track bringt einen ins Ziel, was danach kommt ist allerhöchstens der Abspann. Noch mehr Empty Space? Interessanterweise nein.

,The Messenger´ ist eine Unplugged-Nummer, die garantiert auf Konzerten gespielt wird - und garantiert als Zugabe. Wenn ihr mir nicht glaubt - geht hin. Ihr werdet es schon sehen.

Man fällt müde in einen Stuhl, oder man muss erstmals richtig aufstehen und sich bewegen als wäre man 2 Stunden im Kino gesessen. Der harte Tag war nur Illusion - die Eindrücke bleiben. 

A Thousand Suns ist sicher nicht das beste Album von Linkin Park. Aber das epischste, verwirrendste und das Album, das einen am Meisten zum Nachdenken bringt. Und wenn es einem nicht gefällt, sollte man ihm noch eine Chance geben. Und wenn man dann merkt, dass es nichts für einen ist - dann ist man wahrscheinlich besser bei Verstand als ich.
Denn ich habe - bei allem anfänglichen Ärger über Empty Space und Abzocke und enttäuschten Erwartungen angefangen sie zu verstehen und ihnen dieses Chaos - wörtlich - abzukaufen.

Und ich bin bereit wieder zu warten um mich wieder zu ärgern und wieder zu freuen. AWESOME and GET RID OF IT all over again.

StrawHat
(cannot be reconciled with wisdom, justice and love)
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TRACKLIST & HIGHLIGHTS:

01 The Requiem
02 The Radiance
03 Burning in the Skies
04 Empty Spaces
05 When they come from me
06 Robot Boy
07 Jornada del Muerto
08 Waiting for the End
09 Blackout
10 Wretches and Kings
11 Wisdom, Justice & Love
12 Iridescent
13 Fallout
14 The Catalyst
15 The Messenger

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